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Ein gewagter Bogen von Frege zu Derrida
oder: Eine Einführung in die Sprachphilosophie
[Christian Müller]

Ziel dieses Vortrags war es einen Einblick in den Bereich der Sprachphilosophie zu geben. Dies sollte anhand der Darstellung exemplarischer Theorien erfolgen. (Auch wenn das überflugartige Tempo nur eine grobe, etwas verzeichnete Darstellung erlaubte, hoffe ich doch, dass das Problembewusstsein für diesen Bereich vermittelt werden konnte.

Das Handout steht auch als frege_derrida.pdf zur Verfügung.

Inhalt

A. Grundbegriffe und -konzepte der Linguistik.
B. Exemplarische Theorien der Sprachphilosophie.
I. Frege oder: Die Unterscheidung von Sinn und Bedeutung.
II. Referenztheorie und "Millian Names"
III. Russells Kennzeichnungstheorie / Searles Cluster Theory
IV. Kripkes Kritik oder: possible worlds.
V. Wittgenstein oder: Der Kampf gegen die Verhexung des Verstandes.
VI. John L. Austin oder: Doing by words.
C. Derrida oder: Was ist Logozentrismus?

Anmerkungen
Glossar
Literatur

A. Grundbegriffe und -konzepte der Linguistik.

In der Linguistik gibt es vier grundlegende Bereiche : (i) die Phonetik, die sich mit der Untersuchung von Phonemen (den kleinsten lautlichen Einheiten) beschäftigt, (ii) die Pragmatik, die die Beziehung der Zeichen zum Kontext untersucht, (iii) die Semantik, die die Beziehung der Zeichen zu den Gegenständen (eine sehr fragliche Definition! - doch dazu später mehr) untersucht und (iv) die Syntax, die die formlaen Beziehungen der Zeichen untereinander untersucht. (Auch: Grammatik)Um den Unterschied zwischen Semantik und Syntax zu verdeutlichen mag folgendes Beispiel dienen:

(1) Grüne Wolken fliegen tief.

Ein syntaktisch richtiger, semantisch sinnloser Satz.

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B. Exemplarische Theorien der Sprachphilosophie.

Anhand einiger, meiner Meinung nach für die Entwicklung der Sprachphilosophie exemplarischer Theorien soll nun die Entwicklung hin, bis zur Kritik durch die Dekonstruktion geschildert werden. Im vorliegenden Hand-Out geschieht das Teilweise mit Hilfe von Ausschnitten aus Essays, die im Zuge von Proseminaren angefertigt wurden.

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I. Frege oder: Die Unterscheidung von Sinn und Bedeutung.

Gottlob Frege führt in seinem sprachphilosophischen Aufsatz "Über Sinn und Bedeutung"[1] eine Unterscheidung ein, die uns aus dem Verständnis der Sprache, wie wir es im Alltag erwerben nicht unbedingt üblich erscheint. Für Frege ist die Unterscheidung zwischen Sinn und Bedeutung (1892) aber sehr essentiell um seine Theorie der Referenz aufbauen zu können. Im Folgenden soll nun weniger eine eigene Unterscheidung unternommen werden, als vielmehr Freges Unterscheidung erklärt und anhand einschlägiger Beispiele diskutiert und so verdeutlicht werden, wobei ich hierbei bewusst immer sehr nahe an Freges Aufsatz bleiben werde, nicht zuletzt weil es wahrscheinlich nur so gewährleistet werden kann, dass die Idee, die hinter dieser Unterscheidung Freges steckt, nicht verfälscht wird.

Zunächst möchte ich die von Frege verwendeten Begriffe erläutern. Hierfür werde ich auch noch Freges Begriff der Vorstellung anführen, da sich die anderen Begriffe so voneinander leichter abgrenzen lassen. Anschließend möchte ich mit Beispielen die Unterschiede und Grenzen zwischen diesen Begriffen auf der Wortebene verdeutlichen, um schließlich noch kurz auf die Unterscheidung, die Frege auf der Satzebene unternimmt einzugehen.2

Wenn wir von einem Objekt sprechen, dann machen wir uns eine Vorstellung in unserem Bewusstsein von eben diesem. Die Vorstellung ist - wie der Begriff vermuten lässt - das subjektive, individuelle Bild, das wir uns von einem Gegenstand machen und sich nicht mit anderen Vorstellungen anderer Personen vom gleichen Objekt vergleichen lässt, da diese Vorstellung nur in dem von der Außenwelt verschlossenen Bewusstsein stattfindet.

Die Bedeutung ist für Frege nichts anderes, als das Objektive schlechthin, also das eigentliche Objekt, der Gegenstand selbst. Wenn jemand vom Mond spricht, so hat er eine eigene Vorstellung in seinem Bewusstsein und referiert im Sprachgebrauch auf das Objekt, den Mond. Auch wenn er in anderen Sprachen von dem Mond, also beispielsweise von "la lune" spricht, referiert er auf das selbe Objekt. Die Bedeutung ist im alltäglichen Sprachgebrauch nichts anderes als das Objekt, auf das referiert wird. In diesem Beispiel ist die Bedeutung des Ausdrucks[3] "Mond" gewöhnlich nichts anderes als der Mond selbst.

Der Sinn eines Wortes mag einem der Bedeutung sehr ähnlich erscheinen, da es sich auch hier um etwas Objektives handelt. Beim Sinn handelt es sich weder um etwas Subjektives, das grenzt ihn gegenüber der Vorstellung ab, noch handelt es sich um das Objekt selbst, so dass er eben nicht die Bedeutung sein kann. Der Sinn drückt die Art der Gegebenheit aus. Was nun genau unter der Art der Gegebenheit zu verstehen ist, wird sich mit den ersten Beispielen klären.

Um die Unterscheidung zwischen diesen drei Begriffen ein wenig greifbarer zu machen, bedient sich Frege eines Gleichnises: Ein Betrachter beobachtet den Mond durch ein Fernrohr. Der Mond, als das betrachtete Objekt selbst entspräche der Bedeutung; das Bild, das das Fernrohr mit Hilfe seiner Linsen erzeugt, wäre der Sinn, der immer noch objektiv, aber eben nicht mehr das Objekt selbst ist; und das Bild, das auf die Netzhaut des Betrachters geworfen wird und so in dieser Form eben subjektiv ist, da sich jede Netzhaut von jeder anderen unterscheidet, entspräche der Vorstellung.

Was hat es nun jedoch mit der Art der Gegebenheit auf sich? Ein Beispiel: In dem gleichschenkligen Dreieck A, B, C seien a, b, c die Winkelhalbierenden. Der Schnittpunkt von a und b sei x, der Schnittpunkt von b und c sei y. Dementsprechend können wir also sagen x = y, da x wie y den selben Punkt bezeichnen und somit die selbe Bedeutung haben. Der Sinn, der eben die Art der Gegebenheit ausdrückt ist aber in beiden Fällen ein anderer, da der Punkt einmal durch a und b, das andere mal durch b und c beschrieben ist. An diesem Beispiel wird deutlich, wieso Freges Unterscheidung zwischen Sinn und Bedeutung notwendig ist. Könnten wir nur von der Bedeutung, in diesem Fall also dem Punkt und nicht seiner Art der Gegebenheit sprechen, so wäre die Aussage, die sich über die Gleichheit der beiden Schnittpunkte machen ließe nur folgende: x = x und wäre damit rein tautologisch und enthielte keinerlei Erkenntniswert. Festzuhalten bleibt also, dass eine Bedeutung mehrere Sinne haben kann, und dass diese verschiedenen Sinne einer Bedeutung auch eine Erkenntnis ausdrücken können.

Hierfür führt Frege ein weiteres Beispiel an. Der Planet Venus hat in unserer Alltagssprache zwei verschiedene Namen, den des Abendsterns und den des Morgensterns. An diesem Beispiel lässt sich sehr deutlich zeigen, wie unterschiedliche Sinne für die gleiche Bedeutung vorhanden sein können. Im Namen Morgenstern ist der Umstand berücksichtigt, dass die Venus morgens am Himmel zu sehen ist. Für den Namen Abendstern gilt das abends. Erst lange nach dieser Namensgebung hat man empirisch erkannt, dass der Name Morgenstern auf das gleiche Objekt, wie der Name Abendstern referiert; beide Sinne haben also eine Bedeutung und drücken durch Morgenstern = Abendstern eine mögliche Erkenntnis aus.

Weitere Beispiele bieten sich in unserer Alltagssprache sehr häufig vor allem wenn man nach Bezeichnungen für Objekte in verschiedenen Sprachen sucht. Unterhält man sich beispielsweise in Deutschland über Autos und benutzt das Wort "Ente", so wird auf einen ganz bestimmten Typ Auto, auf einen alten Citroen, dessen Aussehen anscheinend an eine Ente erinnert, referiert. In Frankreich wird das gleiche Automobil mit "2CV" (sprich: "deux chevaux") bezeichnet, was übersetzt soviel wie "zwei Pferde" heißt. Dieser Name entstand, weil die erste Baureihe dieses Autos zwei Pferdestärken hatte. Hier wird abermals sehr deutlich, wie eine Bedeutung (derselbe Autotyp) zwei unterschiedliche Namen mit jeweils eigenem Sinn haben kann.

Zusammenfassend können wir also an dieser Stelle schon einmal sagen, dass eine Bedeutung verschiedene Sinne haben kann und so auch eine Erkenntnis ausgedrückt werden kann.

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II. Referenztheorie und "Millian Names"

Freges Theorie (deren Anfang wir gerade ein wenig beleuchtet haben) ist vor allem aus dem Verlangen nach einer klaren, logisch zu beschreibenden Sprache heraus entstanden. Sein Ziel ist die Konstruktion einer exakten Sprache, (Mir sei hier der Verweis erlaubt, dass Frege aus der Mathematik kommt.) er verfolgt also einen normativen Weg. Ich möchte in diesem ausschnitthaften Überblick aber nicht den normativen Weg der Sprachphilosophie, bzw. der Logik verfolgen, sondern Versuchen den deskriptiven Weg (der die Frage stellt: Wie funktioniert Bedeutung in unserer Sprache?) verfolgen.

In der Theorie der direkten Referenz referieren Wörter auf Objekte der Welt. Sie kann aber keine Erklärung für die sinnvolle Aneinanderreihung von Wörtern, also Sätzen, geben, da sie nur die Funktionsweise von Namen erklärt. Eine eingeschränkte Version, die sich von vorneherein explizit nur für die Funktionsweise von Eigennamen, bzw. ihre Bedeutung interessiert, könnte also lauten: Eigennamen sind einfach Begriffe, die auf einzelne Personen oder Gegenstände der Welt referieren. Tatsächlich verteidigte John Stuart Mill diese Auffassung schon im neunzehnten Jahrhundert. Seiner Meinung nach haben Namen ihre Bedeutung durch die Bezeichnung der Dinge, die sie bezeichnen. Intuitiv kann man dieser Auffassung wohl zustimmen. Bei genauerer Betrachtung fällt allerdings auf, dass mit dieser Theorie nur die Bedeutung von Namen erklärt werden kann, die auf wirklich existierende Objekte referieren. Nicht zu erklären sind Eigennamen, die uns im täglichen Sprachgebrauch sehr vertaut erscheinen, wie beispielsweise "Pegasus". Dieser Name referiert auf einen Gegenstand, der in der Welt nicht existiert. Da wir aber ganz offensichtlich von Dingen, die es nicht gibt sprechen können, kann die Referenztheorie kaum die Funktionsweise von Namen, bzw. ihre Bedeutung im allgemeinen erklären.

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III. Russells Kennzeichnungstheorie / Searles Cluster Theory

Dieses Problem der Namen, die sich auf nichtexistente Objekte beziehen beschäftigte auch Bertrand Russell. Er setzt sich zunächst mit den sogenannten vier Puzzeln auseinander, durch die er einerseits belegt, wie unzureichend die Referenztheorie ist und andererseits eine eigene, die Kennzeichnungstheorie entwickelt. Er versucht die, den Aussagesätzen unserer Sprache zugrunde liegenden logischen Strukturen zu finden. Der von ihm angeführte Beispielsatz "Der gegenwärtige König von Frankreich ist kahlköpfig" wird in drei Teilbehauptungen zerlegt: (i) Es existiert ein gegenwärtiger König von Frankreich, (ii) Es gibt einen und nur einen König von Frankreich und (iii) Dieser ist kahlköpfig. Falls eine dieser drei Teilbehauptungen (Existenz-, Einigkeitsbehauptung und Prädikation) falsch ist, ist der gesamte Satz falsch. Wenn sich ein Teil eines Satzes auf etwas bezieht, dem kein Objekt entspricht, ist, so Russell, dieser Teil und somit der gesamte Satz falsch.

Bei Eigennamen des täglichen Sprachgebrauchs geht Russell davon aus, dass sie eigentlich eine Abkürzung bzw. eine Zusammenfassung einer Beschreibung bzw. Kennzeichnungen sind, die genau einen Gegenstand aus der Menge der Gegenstände herausheben. Er geht somit von einer Beschreibung aus, die - einem Lexikon ähnlich - ein Objekt genau definiert. So könnten wir von Aristoteles zum Beispiel sagen, dass er der Lehrer Alexander des Großen war und hätten damit:

(1) "Aristoteles" bedeutet [Abkürzung für:] "Lehrer Alexander des Großen".

Da jedoch kaum anzunehmen ist, dass alle Menschen, die einen Namen in ihrem Sprachgebrauch nutzen das gleiche Wissen über ein Objekt haben, wurde Russells Idee von John Rogers Searle weiterentwickelt. Er prägte die "Cluster Theory" nach der es nicht nur eine Kennzeichnung, sondern eine Menge von Kennzeichnungen für einen Gegenstand gibt. Für das vorangegangene Beispiel "Aristoteles" bedeutet das, dass alle Eigenschaften, die wir Aristoteles zusprechen könnten (beispielsweise: "Lehrer Alexander des Großen", "Autor der Poetik", "gelebt von 384-322 v. Chr." usw.) eine Menge bilden, die den Namen kennzeichnen bzw. die ihm seine Bedeutung geben.

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IV. Kripkes Kritik oder: possible worlds.

Doch Saul Kripke gibt sich mit den bisher geschilderten Theorien nicht zufrieden und beginnt diese in seinem Aufsatz Naming and Necessity4 auf fundamentale Weise zu kritisieren. Russells und Searles Theorien kann man unter zwei verschiedenen Aspekten sehen. Unter dem Ersten ist die Beschreibung die Bedeutung. Wenn "Aristoteles" aber wirklich "Lehrer Alexander des Großen" bedeutet, so wäre der Satz "Aristoteles war der Lehrer Alexander des Großen" rein tautologisch; da dieser Satz aber eine Tatsache behauptet, die nicht notwendig wahr ist, kann die Beschreibung nicht Teil des Namens sein, oder andersherum gesagt: Der Name kann nicht eine Abkürzung für eine ausführliche Beschreibung sein. Auch wenn dieses Problem unter der Annahme einer Menge von Beschreibungen nicht so dramatisch erscheinen mag, kann Searles Cluster Theory nicht wirklich über diesen Einwand hinweghelfen. Unter dem zweiten Aspekt ist die Beschreibung nicht die Bedeutung, determiniert aber die Referenz. Wenn wir die Existenz Aristoteles verneinen, bedeutet das unter dem ersten Aspekt, dass Aristoteles nicht existiert hat, unter dem zweiten Aspekt, der uns scheinbar aus dem zuvor geschildertem Problem hilft, bedeutete dies, dass der Mann, der Alexander den Großen unterrichtet hat nicht existiert hat, was gleichzusetzen ist mit: Alexander der Große wurde nicht unterrichtet. Unter diesem zweiten Aspekt ist, so Kripke, der Name mit Bedeutung überfrachtet, da die einfache Aussage "Aristoteles existiert nicht" nicht behaupten möchte, das alles, was Aristoteles in seinem Leben gemacht hat nie gemacht wurde.

Außerdem fällt bei genauerer Betrachtung auf, dass diese Art der Kennzeichnung sehr häufig eine Person als genau diese eine von den anderen heraushebt, indem sie auf Dinge, die diese Person als einzige gemacht hat verweist. Dies bedeutet, dass wir uns sehr häufig in Zirkeln befinden. Als Beispiel führt er Albert Einstein an, der vielen Menschen als der Erfinder der Relativitätstheorie bekannt ist. Dementsprechend müsste es heißen

(2) "Albert Einstein" bedeutet "Entwickler der Relativitätstheorie".

Wenn wir Menschen auf der Straße nach der Relativitätstheorie fragen, so werden wir in den seltensten Fällen eine Erklärung dieser bekommen. Meistens wird man uns wohl auf Albert Einstein verweisen: Die Relativitätstheorie ist die, die von Albert Einstein entwickelt wurde. Dementsprechend würde unser Satz (2) zu folgendem Zirkel führen:

(3) "Albert Einstein" bedeutet "Der, der Albert Einsteins Theorie entwickelt hat".

Genauso könnten wir auch mit Aristoteles und der von ihm verfassten Poetik verfahren. Noch deutlicher wird dieses Problem, wenn ein historischen Sachverhalt, der eine Person als diese eine kennzeichnet hinterfragt wird. So könnte man z. B. fragen, ob es möglich sei, dass Aristoteles nicht der Lehrer Alexander des Großen geworden wäre? Da es sich hierbei keineswegs um eine notwendige Tatsache handelt, wird die Antwort wohl intuitiv Ja sein. Diese Frage ist aber nach der Kennzeichnungstheorie gleichbedeutend mit der Frage:

(4) Ist es möglich, dass: Es gibt eine und nur eine Person, die der Lehrer Alexander des Großen war und welche Person auch immer dieser Lehrer war, war es nicht?

Ganz offensichtlich müssen wir die Frage verneinen. Für Kripke liegt ein sehr wesentliches Problem in dem zuvor schon mehrmals gefallenem Begriff "notwendig". Die Kennzeichnungstheorie funktioniert nur dann, wenn historische Gegebenheiten notwendig wahr wären. Nur dann könnte (1) die Bedeutung des Namens "Aristoteles" festlegen, und nur dann müssten wir die Frage, die zu (4) geführt hat von vorneherein verneinen. Für das menschliche Verständnis der Welt scheint es sich aber bei diesen Behauptungen, die einen Namen kennzeichnen sollen, keineswegs um notwendige Wahrheiten zu handeln.

Kripke beschränkt sich aber nicht darauf die bisher genannten Theorien zu widerlegen, sondern beginnt in seinem Aufsatz Naming and Necessity schließlich seine Theorie der möglichen Welten aufzubauen, in der nur Dinge notwendig wahr sind, wenn sie in allen denkbaren Welten so sind, wie sie sind. Als Beispiel seien hier mathematische Aussagen angeführt. Darüber hinaus entwickelt er ansatzweise (so sagt er es selbst) eine neue Theorie, in der einem Namen die Bedeutung durch mündliche Überlieferung und das Handeln der Menschen in der Gesellschaft gegeben wird.

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V. Wittgenstein oder: Der Kampf gegen die Verhexung des Verstandes.

Ludwig Wittgenstein (der sog. "späte Wittgenstein") vertritt die Auffassung, alle Philosophie sei Sprachphilosophie. Im Gegensatz zu seinen "Vorgängern" wird bei ihm die Umgangssprache, die "Mannigfaltigkeit der Sprachspiele" zum zentralen Gegenstand. Die Ursache für zahlreiche philosophische Probleme sieht Wittgenstein in der Sprache. Wörter sind wie Werkzeuge, und genauso wie die Werkzeuge unterschiedliche Funktionen haben, erfüllen auch die sprachlichen Aussagen verschiedene Funktionen. Zwar gibt es Sätze, bei deren Gebrauch Tatsachen abgebildet werden, es gibt aber auch andere Sätze, die zum Befehlen, Fragen, Beten, Danken, Fluchen usw. verwendet werden. Die Einsicht in die sprachliche Vielfalt und Kontextualität führte Wittgenstein zu der Auffassung der Sprache als Sprachspiel und zu dem Schluss, dass die Menschen unterschiedliche Sprachspiele spielen. So unterscheidet sich beispielsweise das Sprachspiel des Wissenschaftlers wesentlich von dem des Theologen. Die Bedeutung eines Satzes kann nur unter Berücksichtigung seines Kontextes verstanden werden, d. h. aufgrund der Spielregeln desjenigen Sprachspieles, dessen Regeln er folgt. Der Schlüssel zur Auflösung des philosophischen Ratespieles wäre demnach der therapeutische Prozess zur Untersuchung und Beschreibung des Gebrauchs von Sprache.

PhU § 43 : Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache.

PhU § 109: Die Philosophie ist ein Kampf gegen die Verhexung unseres Verstandes durch die Mittel unserer Sprache.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Wittgensteins "Theorie" eine sogenante Use Theory ist, dass er den Blick auf eine ganz wesentliche Komponente der menschlichen Sprache, deren Gebrauch richtet. Er hat sozusagen die Pragmatik als linguistische Dimension in die Sprachphilosophie gebracht.

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VI. Austin oder: Doing by words.

John Langshaw Austin führt diesen Ansatz in seiner Speech-Act-Theory fort, die Aussagen auch als soziale Handlungen (doing by words) begreift. Diese Aussagen (eigentlich: Äußerungen) nannte Austin im Gegensatz zu den konstativen Äußerungen performative Äußerungen. Entscheidend für solche Äußerungen ist einerseits stets die Intention des Sprechers (illocutionary force) und. So könnte beispielsweise der Satz: "Das ist heiß!" einerseits eine Warnung aber auch eine Behauptung sein und andererseits der Erfolg des Sprechakts. Wenn also beispielsweise der Lügner als solcher entlarvt wird, ist der Sprechakt missglückt.

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C. Derrida oder: Was ist Logozentrismus?

Jacques Derrida (*1930) gehört mit Barthes, Deleuze, Foucault, Kristeva, u.a. zu den führenden Theoretikern des Post-Strukturalismus und gilt unter diesen als Begründer der Dekonstruktion (in Anlehnung an Heideggers Destruktion). Zieht man innerhalb der deutschen Philosophie eine Linie zwischen Hegel, Husserl und Heidegger, kann man diese Linie in Frankreich durch die Vertreter des französischen Existentialismus (Beauvoir, Merleau-Ponty, Sartre) fortführen. Derrida wendet sich vom Existentialismus ab und setzt bei Heideggers "ontologischer Differenz" von Sein und Seiendem an und betreibt eine radikale Infragestellung der Metaphysik, die als philosophische Tradition die prägende für die europäische Philosophie (vielleicht für das europäische Denken überhaupt) ist. Auch Gadamer, vielleicht der Vertreter der Hermeneutik setzt bei Heidegger an, so dass sich mit dem Reibungspunkt Heidegger ein Dialog zwischen Hermeneutik und Dekonstruktion entfaltet, der letztes Jahr mit Gadamers Tod zumindest ein vorläufiges Ende gefunden hat.

Abgesehen davon, dass diese Verortung Derridaschen Denkens mehr als grob, dadurch vielleicht sogar unzulässig ist, ist gerade für die folgende Erläuterung zu Signatur Ereignis Kontext hinzuzufügen, dass sie von einem dekonstruktivistischen Standpunkt aus gesehen nur eine (keinesfalls also die) Interpretation ist, die dadurch, dass sie Bedeutung hervorhebt notwendig andere verdeckt.

I. Signatur Ereignis Kontext

Wesentlich für das Verständnis der Kritik, die Derrida in diesem Vortrag 1971 geäußert hat, ist der Begriff des Logozentrismus. Derrida wirft im Zuge seiner Kritik an der Metaphysik dem europäischen Denken vor, dass es sich um transzendentale Zentren organisiere, die eine außersprachliche Präsenz haben und so eine Bedeutung fixiere. Die Sprache werde so auf ein Mittel der Erkenntnis reduziert.

Derrida beginnt seinen Vortrag damit, dass er die gängige These aufgreift, der Sinn, bzw. die Bedeutung werde durch den Kontext identifiziert. Er unterstellt dem Begriff des Kontextes jedoch eine strukturelle Ungesättigtheit und beginnt seine Argumentation, die im Grunde genommen zwei Stränge verfolgt, die allerdings sehr dicht miteinander verwoben sind: (1) Die kritische Hinterfragung des Begriffs des Kontexts (die im Folgenden der Klarheit wegen getrennt dargelegt wird) und (2) die Frage nach der Konstituiertheit von Zeichen.

Schrift wird im gängigen Diskurs als eine Art (im Sinne von: eine mögliche Art) der Kommunikation dargestellt. Derrida sprengt nun den Begriff der Kommunikation (die Schrift betreffend), indem er beweist, dass das für das Funktionieren der Kommunikation notwendige Paar von Empfänger und Sender für das Funktionieren der Schrift nicht notwendig ist. (In der gängigen Annahme wurde die Abwesenheit des Empfängers nur als eine modifizierte Anwesenheit gesehen, da der Empfänger - so die klassische Argumentation - zu einem späteren Zeitpunkt anwesend ist. Derrida zeigt jedoch, dass Schrift auch bei einer totalen, absoluten Abwesenheit von Empfänger und Sender (!) als Schrift funktioniert.) Somit hat Derrida seine erste These, nämlich das Funktionieren der Schrift auch ohne den Rahmen der Kommunikation, belegt und stellt die Iterierbarkeit als Wesen der Schrift dar.

Wie verhält es sich nun aber mit Sprache ganz allgemein, also auch der mündlichen Sprache, ist Derridas nächste Frage. Mit Husserls Untersuchung, die sich brisanterweise von vorneherein nicht auf den Begriff der Kommunikation stützt, belegt er, dass für das Funktionieren von Sprache ganz allgemein, weder ein Referent, noch ein Bezeichnetes notwendig sind. (Die mögliche Abwesenheit eines Bezeichneten untergliedert er, ebenfalls wieder in Anlehnung an Husserl, noch in die mögliche Abwesenheit von a) Intention, b) Bedeutung und c) Sinn.) Damit ist der Begriff der Kommunikation (der ja die mündliche Sprache subordinieren soll) in seinem überlieferten Gewicht vollends gesprengt. Sprache kann, so die Überlegung, nicht ein Effekt der Kommunikation sein, da sie sonst kaum ohne Kommunikation funktionieren könnte.

Der letzte Schritt, den Derrida unternimmt, um nicht nur zu destruieren, sondern auch zu konstruieren, also Dekonstruktion zu betreiben, ist es den Nachweis zu führen, dass die Iterierbarkeit das ganz allgemeine Wesen von Zeichen ist. Für die schriftlichen hat er dies bereits belegt, für die mündlichen Zeichen (und damit für Zeichen ganz allgemein) belegt er diese These anhand der Auseinandersetzung mit und der Auseinanderlegung von Austins Speech-Act-Theory.

Die, sich aus dem Vortrag ergebende Verschiebung, von der Derrida schon anfangs spricht, ist also zusammengefasst folgende:

Schrift als Effekt von Kommunikation.
wird zu:
Kommunikation als Effekt von Zeichen überhaupt.

Außerdem wird durch die Auflösung des sinnbestimmenden Begriffs des Kontexts, die Möglichkeit einen, fest zuzuordnenden Sinn für Zeichen (und damit auch Texte) zu bestimmen ebenfalls aufgelöst. Das heißt jedoch nicht, wie oft fälschlicherweise angenommen wird, dass Derrida die Existenz von Sinn, Kontext, Bedeutung, etc. überhaupt leugnet, sondern nur, dass es beispielsweise weder möglich ist den Sinn eines Textes zu erschließen (wie es beispielsweise die Hermeneutik versucht), noch zulässig ist eine feste, ewig bestehende Verbindung zwischen Bezeichnetem und Bezeichnendem zu ziehen ( dissémination).

Wir sind also wieder beim Begriff des Logozentrismus angelangt, der sich als roter Faden durch den gesamten Text zieht, von Derrida erst aber gegen Ende beim Namen genannt wird. Zwei Aspekte des Logozentrismus, einerseits die eindeutige, feste Zuordnung von Sinn und damit die (ideologische) Reduzierung von Sprache auf ein Mittel der Erkenntnis und andererseits die damit einhergehende Reduzierung von Sprache auf ein Repräsentationssystem zur Kommunikation, d.h. die fälschliche Darstellung eines Effekts als Wesen der Sprache, sind mit diesem Vortrag Derridas deutlich herausgearbeitet.

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Anmerkungen

1 Frege, Gottlob: Funktion, Begriff, Bedeutung. Göttingen, 41962.

2 Im Rahmen des FK-Seminars habe ich auf Grund des zeitlichen, wie auch themantischen Rahmens die Satzebene aus dem hier auszugsweise vorliegenden Essay gestrichen.

3 Frege benutzt hier den Begriff Eigenname.

4 Kripke, Saul: Naming and Necessity, Cambridge 1980. In: Martinich, A.P. (Hg.): The Philosophy of Language. Oxford, 2001.

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Glossar:

Différance

Das System der sprachlichen Differenzen ist bei Derrida nicht mehr stabil und an relativ fest zuschreibbare Signifikate gebunden, sondern als Prozess des ständigen Sich-Unterscheidens und Aufeinander-Verweisens von Signifikanten gefasst, als ein Spiel der Differenzen ohne Zentrum und festen Grund, das gleichwohl selbst einzige Grundlage von Sprache und Bedeutung darstellt.

Dissémination

Die sprachlichen Signifikanten sind nicht festen Signifikaten zugeordnet, sondern in einem ständigen Prozess der Differenzierung, der inneren Entzweiung und gegenseitigen Ersetzung begriffen. Das Spiel der Zeichen, das ein Spiel von Bedeutungssetzung und Bedeutungsauslöschung ist, ist niemals stillzustellen oder auf einen in sich abgeschlossenen Aussagezusammenhang eingrenzbar. In Fortführung der différance besagt die Dissémination, dass erst die Zwischenräume zwischen den sprachlichen Elementen deren Bedeutung hervorbringen.

Signifié (Signifikat) / Signifiant (Signifikant)

Ein Zeichen ist nach Ferdinand de Saussure die Verbindung aus Zeicheninhalt und Zeichenausdruck. Der Zeicheninhalt ist das Bezeichnete, der signifié (dt. Signifikat). Der Zeichenausdruck ist das Bezeichnende, der signifiant (dt. Signifikant).

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Literatur

Blume, Thomas; Demmerling, Christoph: Grundprobleme der anaylytischen Sprachphilosophie. München, 1998.

Derrida, Jacques: Signatur Ereignis Kontext. In: Ders. Randgänge der Philosophie. Wien, 1988. S. 291-314. (Marges de la philosophie. Paris, 1972.)

Frege, Gottlob: Funktion, Begriff, Bedeutung. Göttingen, 51980.

Lycan, William G.: Philosophy of Language – a contemporary introduction. London, 2000.

Martinich, A.P. (ed.): The Philosophy of Language. Oxford, 2001.

Tugendhat, Ernst; Wolf, Ursula: Logisch-semantische Propädeutik. Stuttgart, 1983.

Wittgenstein, Ludwig: Philosophische Untersuchungen. In: Ders. Werkausgabe Bd. 1. Frankfurt/Main, 1984.

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last update: 12-08-2006